1020 Wien / Vienna, Austria
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Text




Erstaunlich, wie die Erde ihre Gestalt ver-
ändern will. Überall. Wie sie ihr Inneres
nach Aussen stülpt.
Wir finden uns in einer
noch kaum sichtbaren Bewegung, die eben
erst begonnen hat.

Marguerite Duras, Le Camion, 1977




Die ökologische Funktion von Architektur und Stadtgestaltung


Ökologie umfasst die Wechselwirkungen aller Lebewesen mit ihren Umwelten – in welche Architektur sowie Stadt- und Landschaftsgestaltung dynamisch eingebettet sind. So determinieren ökologische Faktoren die Genealogie der Stadt wie auch die Koordinaten des architektonischen Entwurfs. Das war immer schon so. Doch Fragen nach der ökologischen Funktion von Architektur und Stadtgestaltung haben unter dem global vorkommenden und lokal unterschiedlich wirksamen New Climatic Regime akzentuierte Bedeutung, vor allem aber hohe Dringlichkeit erfahren.

Vom Ort zur Umwelt, vom Objekt zu Prozess und Wirkung

Die Fundamente, auf denen unsere Städte und westlichen Gesellschaften aufgebaut sind, werden erschüttert von bisher ungekannten Klimaverschiebungen, ihren Auslösern und Auswirkungen (New Climatic Regime). Die Konsequenzen dieses neuen globalen Regimes stellen unsere Vorstellungen von Grund und Boden und unser Verhältnis dazu radikal in Frage. Als Architekten und Architektinnen werden wir nicht weiter singuläre Gebäude planen und bauen, welche in scheinbar gewachsenem Grund verankert sind. Vielmehr geht es darum Prozesse mitzugestalten und neuartige Strukturen zu entwickeln, welche zwischen jenen dynamischen Kräften vermitteln und sie reflektieren/übersetzen, welche die Konstruktionen der Haut der Erde formen.

Stadtgestaltung ist auch Klimagestaltung – und umgekehrt

Der Bozner Platz wird als klimatisches Instrument konzipiert. Er könnte Ausgangspunkt werden für eine neue Typologie öffentlichen Raumes, der ökologische und urbane sowie nutzungstechnische und atmosphärische Anforderungen, Notwendigkeiten und Wünsche dialogisch zusammenführt und neu verhandelt.

Das Projekt »ZWITSCHERMASCHINE« basiert auf einem Verständnis des Bozner Platzes als eines vielfältigen urbanen Ökosystems – ein Resultat des Zusammenwirkens unterschiedlichster Kreisläufe zwischen Luft und Boden. Konstruiertes und Gewachsenes, Innen und Aussen, Oben und Unten, Organisches und Anorganisches beginnt zu fusionieren, nimmt neue Formen an, adaptiert sich an neue Gegebenheiten, verändert umgekehrt diese Gegebenheiten. Licht und Luft, Kälte und Hitze werden als „immaterielle Baumaterialien“ verstanden. Die Orientierung von Schattenräumen oder die Steuerung von Verdunstungskälte werden zu zentralen Faktoren des Entwurfs, zu entscheidenden Aspekten der Gestaltung der physischen Stadt sowie der Wechselwirkungen zwischen ihren Protagonisten und deren Umwelten.




STADTRÄUMLICHER KONTEXT

Die Sequenz ausgedehnter (Plätze/Fussgängerzonen) öffentlicher Räume in der Innsbrucker Innenstadt ist gekennzeichnet von unterschiedlichen Raumtypologien und Charakteristiken (Südtirolerplatz: Transit/Verkehr; Landhausplatz: urbane Aktivität und Erinnerungskultur; Marie-Theresienstrasse: Einkauf, Treffpunkt und Kurzzeitaufenthalte; Stadtforum und Sparkassenplatz: Gastronomie, Handel und urbanes Leben). Der Vorschlag für den Bozner Platz bietet eine neue Raumtypologie und reiht sich damit in die übergeordnete Raumsequenz ein. Die tangentialen Strassen werden so gestaltet, dass die unterschiedlichen Plätze  miteinander in fliessendem Austausch stehen („Kommunizierende Stadträume“).




ÜBER DIE ZONEN DER »ZWITSCHERMASCHINE«

Der Stadtraum, der den Bozner Platz umfasst, ist im Projekt horizontal geschichtet und besteht aus vier unterschiedlichen räumlichen Bereichen: Grund, Begegnungszone, Vegetationszone und Luftraum. Reziproke Prozesse zwischen den Zonen Grund und Luftraum bestimmen Material, Gestalt und Atmosphäre der beiden andern Zonen:

Begegnungszone

Ein offener, weiter hindernisfreier Platz in Form einer leicht von Nord-Ost nach Süd-West geneigten Ebene, dreiseitig von stufenlos eingegliederten „Strassenbereichen“ begleitet. Ein entschleunigter Raum, gedämpfte Akustik. Geräusche von Gehen auf Kies vermitteln eine introvertierte Atmosphäre. Der Boden kontrastreich gerastert von linearen Schatten, dazwischen dynamisches, kleinteiliges Schattenspiel: hoch oben fällt Licht gefiltert durch bewegtes Blattwerk, das immer wieder den Blick frei gibt durchs Grün auf blauen Himmel und den Gebirgszug der Nordkette. Leute queren den Platz von der Stadt kommend zum Bahnhof, andere stehen in Gruppen zusammen, diskutieren, einzelne sitzen auf verstreut angebrachten Bänken, das Fahrrad an die Bank gelehnt, lesen, schauen, warten, tun gar nichts. Lebendiger Gastgartenbetrieb an einigen Stellen der Platzränder. Ein Nachmittag im Hochsommer, brütend heiss draussen in den Strassen Innsbrucks, angenehm temperiert am Bozner Platz.

Im Zentrum steht als Dreh- und Angelpunkt der Rudolfsbrunnen, Treffpunkt und Versammlungsort der jüngeren Generationen – Kulturelles Erbe, das lebt, in der Gegenwart etabliert. Rudolfs Kopf scheint in den Bäumen zu stecken, aus anderer Perspektive sieht man, wie er aufrecht im freien Raum steht.

Gegen Osten und zur Brixner Strasse hin läuft Wasser aus einem vierkantigen Rohr, von einer Art Brunnen in den Bäumen kommend, ein Kind klettert durchs Wasser rauf auf die darüberliegende Sommerterrasse.

Im Herbst ein farbiger Teppich am Boden, milder Lichteinfall durch gelichtetes Laub und freigelegte Trägerstruktur, Instrumente werden aufgebaut für ein abendliches Konzert.

Der spärliche Verkehr an den Platzrändern scheint weit weg, Personen steigen aus dem Bus und betreten in Gruppen die Bühne der »ZWITSCHERMASCHINE«, den Bozner Platz.

Vegetationszone

Zwei Stiegen (und ein einfacher Hublift für gehbehinderte Personen)  führen von der Begegnungszone durch eine lichte Struktur hinauf ins Grün. Aus grossen, langgezogenen Fertigteil-Trögen wächst vielfältiges Buschwerk, Gräser, Bäume hier und da. Vogelgezwitscher von allen Seiten, ganz besonders in der Dämmerung und am Abend beim Eindunkeln. Man scheit der Stadt entrückt, der Blick zu den anliegenden Häusern bleibt auf Aughöhe in einem Filter, einem pflanzlichen Dickicht hängen.

Von den Stegen vielfältige Blicke in den Garten hinein, auf die Begegnungszone hinunter, in die Stadt und über diese hinaus auf Nordkette, Bergisel. Die Sommerterrasse ist introvertiert, eingefasst von Pflanzen, eine Wasserwand kühlt den Ort. Sitzgelegenheiten begleiten die Wege. Ein leichter Luftzug, bewegte Schatten wandern über den Steg, den drunter liegenden Platz, es riecht nach feuchter Erde.

Im Winter liegt der Bozner Tag den ganzen Tag im Schatten. Nicht so die »ZWITSCHERMASCHINE«. Die Winterterasse, die herausragt aus dem winterlichen Schattenraum ist ein beleuchteter Orientierungspunkt im Innsbrucker Strassenraum der dunkleren Jahreszeit. Und  wenn man oben ist: plötzlich diese Übersicht.




EINE ART NACHWORT

Die Intention, den Platzraum für vielfältig soziale Nutzungsmöglichkeiten freizuspielen, ihm eine klare räumliche Fassung und unverwechselbare Adresse zu geben, den Stadtraum zu temperieren, ein klares Statement zum Klimawandel zu setzen und landschaftlich-urban zu kontextualisieren resultiert in der dargelegten dreidimensionalen Schichtung, der Überlagerung und räumlichen Durchdringung von urbaner Platzebene und „schwebendem“ Landschaftsgarten.

»ZWITSCHERMASCHINE« ist ein Stück über Innsbruck, den Zustand der Erde, über lebendigen Stadtraum, Kulturelles Erbe, über Technik, Verkehr, Entwurf und Gestaltung, Flora und Fauna, Klimawandel und Klimachancen, über die künftige Stadt und die Interaktion ihrer Protagonist_innen.

»ZWITSCHERMASCHINE« ist ein auf Realisierung angelegter Versuch über den Bozner Platz und über die Zukunft der Organisation von öffentlichem Raum und seiner klimatischen wie poetischen Potentiale.